The Great Reset und andere Ungereimtheiten


Ich wurde kürzlich gefragt, was ich vom „Great Reset“ halten würde. Formal ist das erst einmal der Titel eines Entwurfs des Weltwirtschaftsforums, wie man das Wirtschaften anders gestalten könnte (zum Beispiel mehr Fokus auf umweltfreundliche Industrie), mit der Idee, dass man die Verwerfungen, die sich aus der Pandemie sowieso ergeben, ja als Anlass nutzen könnte, anschließend nicht wie gehabt weiter zu machen.

Könnte man drüber diskutieren – aber nicht im derzeitigen gesellschaftlichen Klima…

Denn dadurch wurde aus „könnten wir die Gelegenheit nicht nutzen und aus dem Desaster noch irgendetwas sinnvolles machen“ eine Verschwörungserzählung, laut welcher der Rechtsstaat abgeschafft, Vermögen enteignet, verschiedene Teile der Bevölkerung eliminiert und sonstige Katastrophen veranstaltet werden sollen.

Ein Punkt dabei ist die Neuverschuldung des Bundes, die nur durch eine Währungsreform aufzulösen wäre. Dazu ein wenig Geschichte und ein paar Zahlen:

Der Bund hat sich 2009 eine „Schuldenbremse“ auferlegt, die 2011 in Kraft getreten ist. Laut dieser muss die Neuverschuldung des Bundes unterm Strich eine schwarze Null sein (0.35% Neuverschuldung sind erlaubt), allerdings gibt es die Möglichkeit, in Notfällen von der Grenze abzuweichen, von der nun Gebrauch gemacht wurde. Der Name ist treffend: Eine Senkung des Schuldenniveaus ist nicht vorgesehen, auch wenn es ab und an dazu kommt, dass die Schulden zum Jahresende niedriger sind als zu Beginn.

Durch das Inflationsziel der EZB von 2% macht das aber auch nicht viel: Die Kaufkraft der rund 2 Billionen Euro Schulden, die der Bund mit sich herumschleppt, halbiert sich (bei Einhaltung des Ziels) alle 36 Jahre, daher sind sie in gut 100 Jahren „nur“ noch 250 Milliarden Euro nach heutiger Kaufkraft wert. Wenn die Bremse durchgehalten wird, erledigt sich das Problem also mit der Zeit von selbst.

Laut Statistischem Bundesamt hat sich die Verschuldung in den 60 Jahren von 1950 bis 2010 (also vor der Schuldenbremse) von 10 Milliarden auf ca. 2 Billionen erhöht. Wenn ich da eine Trendlinie dranmale, komme ich auf ca. 2,5 Billionen in 2020, was höher ist, als die Verschuldung, die sich durch die Coronamaßnahmen ergibt: Wir kommen also immer noch „besser“ raus und bei der Einführung der Schuldenbremse ging es auch nicht darum, dass andernfalls Deutschland binnen 10 Jahren kollabieren würde, sondern „nur“ um gutes Haushalten.

Was das gute Haushalten angeht, wird die Staatsverschuldung nicht (nur) in absoluten Zahlen gemessen, sondern mit der Schuldenquote, die die Verschuldung in Relation zur Wirtschaftskraft des Landes stellt. 2010, bei Einführung der Bremse lag Deutschland bei rund 80%, 2019 waren es knapp unter 60% – übrigens ist auch das eine Zahl, die bei reduzierter Neuverschuldung und gleichzeitiger Inflation automatisch heruntergeht (da die Wirtschaftskraft nominell steigt, selbst wenn sich eigentlich gar nichts tut).

Mit den Coronamaßnahmen dürften wir bei 75% oder so landen, also niedriger als Deutschland 2010, niedriger als Großbritannien 2019 (85%) oder die USA 2019 (108%).

Wozu genau soll also das Wirtschaftssystem in Deutschland „mit Gewalt“ (wie von den Verschwörungserzählern behauptet) umgearbeitet werden?


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